Der Professor und die Katzen

Die muss dich wirklich sehr lieben, sagte der Professor von seinem Balkon, als die Katze auf mich zugerannt kam und mir um die Beine strich. Ein Hauch von Eifersucht lag in seiner Stimme, doch eigentlich freute es ihn für die Katze, dass sie bei uns ein neues Zuhause gefunden hatte. Portakal (Orange) heiße sie, weil sie immer mit einer orangefarbenen Socke gespielt habe, als sie klein war, erzählte er mit einem Weinglas in der Hand, während seine Katze Trotzki sehnsüchtig vom Balkon zu Portakal und den anderen Katzen auf der Straße schaute, die ihrerseits hungrig zum Professor hoch starrten.

Ein Dutzend Katzen füttert der Professor auf der Straße jeden Tag, ein weiteres Dutzend versorgt er auf den Dächern hinter seinem Haus – dabei hat er selbst kaum noch Geld, um seine Miete zu zahlen. Vor drei Jahren hat er seine Stelle als Dozent für Politikwissenschaft verloren. Zu links, zu kritisch, zu unabhängig war er der Leitung der Universität, die zur Bewegung von Fethullah Gülen gehörte. Inzwischen ist die Leitung den Säuberungen zum Opfer gefallen, doch einen neuen Job findet er nicht mehr.

Er spricht fließend Französisch, denn früher hat er in Quebec über separatistische Bewegungen gearbeitet, dabei auch über die Kurden geschrieben, als Erdoğan noch mit der PKK verhandelte. Als der Friedensprozess dann zusammenbrach, wurde ihm dies zum Problem. Einem weiteren. Arbeitslos, kaltgestellt und zur Untätigkeit verdammt, hat sich der Professor mit seinen Katzen in seine Wohnung zurückgezogen. Bald könne er die Miete nicht mehr zahlen, sagte er. Manchmal denke er an Suizid.

Doch der Professor freute sich für Portakal, dass sie bei uns ein neues Zuhause gefunden habe. Uns sage ich, denn ich habe die Katze mit meinem Nachbarn Max adoptiert, der zwei Etagen über mir wohnt.

Angefangen hatte alles im April, als die Katze im Müllraum am Eingang Junge gekriegt hatte. Der Raum ist voller Gerümpel, doch der Katze war dies egal. Allen Nachbarn dagegen nicht, und bald gab es Beschwerden, dass die Katze ins Treppenhaus mache und es aus dem Müllraum stinke. Max und ich fassten uns daher eines Abends ein Herz und misteten den Müllraum aus, wischten den Boden und breiteten den Kätzchen ein frisches Handtuch aus.

Wenige Tage später aber waren sie fort, der Müllraum leer, während die Mutter verzweifelt miauend auf der Suche nach den Kleinen durchs Treppenhaus strich.

Wir stellten den Hausmeister zur Rede, schimpften ihn einen Katzenmörder, er verwickelte sich in Widersprüche, wir glaubten ihm kein Wort, mobilisierten die Nachbarn, beschwerten uns bei den Vermietern. Es sprach sich herum, bis auch die Kinder auf der Straße vom Katzenmörder sprachen. Der Hausmeister behauptete, er habe den Karton mit den Kätzchen vor einem Imbiss in Karaköy abgestellt, da sei eine Frau vorbeigekommen und habe sie mitgenommen.

Doch welche Frau sollte einfach so vier Kätzchen nach Hause nehmen?

Gut, wir sind in Istanbul, die Leute lieben Katzen, überall auf der Straße werden ihnen Häuschen aufgestellt, Wassernäpfe, Futtertröge. Erst gerade wurde ein Film (Kedi) der Liebe der Istanbuler zu ihren Katzen gewidmet. Auch der dicke Hund, der Nachts immer in unserem Treppenhaus schläft, wird liebevoll versorgt und genießt in den Büros, Cafés und Werkstätten entlang der Straße Gastrecht. Selbst das ultracoole House-Café in Nisantasi toleriert den schweineartigen Köter, der quer vor dem Eingang liegt, so dass alle vorsichtig über ihn steigen müssen.

Wenn doch mal eine Katze oder einen Hund misshandelt wird, gibt es einen nationalen Aufschrei und tagelang wird in den Zeitungen darüber berichtet. Nicht selten werden Tierquäler zu langen Gefängnisstrafen verurteilt (da sind die Türken freigiebig). Dass der Hausmeister die Kätzchen kaltblütig ermordet habe, erschien daher doch unwahrscheinlich, doch die Geschichte mit der Frau glaubten wir ihm nicht, bis ich eines Tages mit dem Professor sprach.

Doch, doch, sagte er. Er sei der Sache nachgegangen, habe den Imbiss aufgesucht, und da hätten ihm die Leute bestätigt, dass eine Frau die Kätzchen mitgenommen habe. Sie hätten sogar angeboten, ihm die Aufzeichnungen der Überwachungskamera zu zeigen.

Nun gut, doch verschwunden waren die Kätzchen trotzdem.

Aber wir hatten ja noch die Katze. Abends wenn wir nach Hause kamen, kam sie nun immer auf uns zugerannt und folgte uns in die Wohnung (wobei sie beim dicken Hund im Treppenhaus zögerte, bevor sie schnell vorbeisprang, wenn sie sicher war, dass er schlief). Die Nacht verbrachte sie abwechselnd bei Max und bei mir, und morgens nahmen wir sie wieder auf die Straße mit. So vergingen einige Wochen, doch dann stellte der Tierarzt fest, dass sie schwanger war. Schon wieder? Oha.

Ich googlte „Katze schwanger“ und sah, dass Katzen neun Wochen trächtig sind. Während die Türkei den Wahlen entgegen fieberte, wurde unsere zierliche Katze immer runder, ging immer seltener aus dem Haus, bis sie ganz in der Wohnung blieb. Hatte sie zuvor alles gefressen, was sie auf der Straße finden konnte, wurde sie nun wählerisch und wollte nur noch italienischen Lachs.

Die Wahlen gingen vorüber, und die Türkei versank erschöpft, enttäuscht, erleichtert in sommerlicher Lethargie, doch die Kätzchen wollten noch immer nicht zur Welt kommen.

Ich googlte erneut „Katze schwanger“ und sah, dass Katzen ein Nest brauchen, um zu werfen. Ich hatte frühzeitig einen Korb besorgt, doch würdigte sie ihn keines Blickes. Also versuchte ich es mit einem Karton, den ich mit Noppenfolie und einem Handtuch auslegte. Das Handtuch schmiss sie wieder raus, doch der Karton und die Noppenfolien gefielen ihr.

Am nächsten Morgen waren die Kätzchen da.

Vier Stück. Drei braun und weiß gefleckt, eins getigert wie die Mutter. Noch sind sie blind, schlafen die meiste Zeit und quieken, wenn die Mutter zu ihnen kommt. Ihr Muttertrieb hält sich in Grenzen, sie ist ja selber noch ein Teenager, doch die Kätzchen gedeihen auch so. Zwei will Max zu seiner Freundin nach Berlin nehmen, was aus den anderen wird, werden wir sehen. Vielleicht wildern wir sie wieder aus.

Dem Professor habe ich noch nichts davon erzählt. Vor einigen Tagen standen Möbel vor seinem Haus, ein Kleiderschrank, ein Katzenbaum. Ich dachte schon, er habe ausziehen müssen, doch dann sah ich seine Kaffeetasse auf dem Balkon und Trotzki, die sehnsüchtig zu den anderen Katzen auf der Straße schaute. Ich hoffe, er wird noch eine Weile länger bleiben.

6. August