Der Ayatollah in der französischen Provinz
Neauphle-le-Château ist ein beschauliches Dorf in der französischen Provinz, doch im Herbst 1978 wurde es für einige Monate zur Schaltstelle der Revolution im Iran. Als der iranische Oppositionsführer Ayatollah Khomeini im Oktober 1978 auf Druck von Teheran sein Exil im irakischen Nadschaf verlassen musste, flog er nach Frankreich, für das Iraner damals keine Visa brauchten. Nach kurzem Aufenthalt in Paris installierte sich der 75-jährige Geistliche in einem kleinem Haus westlich von Paris.
Zu dieser Zeit war die Revolution im Iran bereits in vollem Schwung. Ausgelöst von einem beleidigenden Zeitungsartikel gegen Khomeini im Januar 1978 hatten die Proteste gegen Schah Mohammed Resa Pahlawi rasch das ganze Land erfasst. Trotz des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte gelang es dem Schah nicht, die Proteste unter Kontrolle zu bringen, die liberale Demokraten, Kommunisten und die islamische Geistlichkeit zusammenbrachten.
Die Ankunft Khomeinis in Neauphle-le-Château mit seiner Familie und seinen Vertrauten versetzte das kleine Dorf in Aufregung. Der charismatische Geistliche mit dem weißen Bart und dem schwarzen Turban zog rasch Journalisten sowie iranische Unterstützer an, die sich hinter Khomeini im Garten zum Gebet versammelten. Auf einer Matte unter einem Apfelbaum gab der alte Mann Medien aus aller Welt ein Interview nach dem anderen.
Unterstützt wurde der Korangelehrte von drei Iranern, die in Frankreich studiert hatten und mit der westlichen Gesellschaft vertraut waren: Abolhassan Banisadr, der nach der Revolution der erste Präsident des Iran wurde, Ebrahim Jasdi, der als Außenminister in der Übergangsregierung diente, und Sadegh Ghotbsadeh, der ebenfalls kurzzeitig Außenminister war, bevor er wegen angeblicher Verschwörung gegen Khomeini hingerichtet wurde.
Die drei Männer dienten Khomeini als Übersetzer und kontrollierten den Zugang zu ihm. Unter ihrem Einfluss mäßigte er seinen Diskurs: So forderte er zwar eine „Islamische Republik“, versicherte aber angesichts der Sorge vor der Errichtung einer Theokratie, dies werde eine Republik wie jede andere sein. Sein Konzept der „Herrschaft des Rechtsgelehrten“, dem zufolge ein Kleriker den Staat führen soll, erwähnte er in Frankreich nicht.
Die französische Öffentlichkeit war ebenso fasziniert wie beunruhigt von dem streng blickenden Geistlichen, der niemals lächelte. Während sich führende Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre und Michel Foucault für die iranischen Revolutionäre einsetzten, ließ die französische Regierung von Präsident Valéry Giscard d’Estaing den Ayatollah gewähren, obwohl sie ebenso wie die anderen westlichen Staaten zunächst am Schah festhielt.
Unter dem Druck der Proteste beauftragte der krebskranke Monarch im Januar 1979 den Oppositionellen Schapur Bachtiar mit der Regierungsführung. Die Revolutionäre unter Führung Khomeinis erkannten den neuen Ministerpräsidenten aber nicht an, und am 16. Januar 1979 war der Schah gezwungen, das Land zu verlassen. Nach intensiven Verhandlungen mit Khomeinis Anhängern willigte Bachtiar ein, ihn in den Iran zurückzulassen.
Mit Zustimmung der französischen Regierung stellte Air France daraufhin den iranischen Revolutionären ein Flugzeug zur Verfügung, um Khomeini und internationale Journalisten nach Teheran zu bringen. Viele Begleiter fürchteten eine Intervention der iranischen Streitkräfte, doch am Morgen des 1. Februar landete der Ayatollah sicher im Iran, den er fast 15 Jahre zuvor verlassen hatte. Zehn Tage später hatte die Revolution gesiegt.
Hatte Khomeini vorher noch versichert, keine aktive Rolle in der Politik anzustreben, brachte er rasch alle Macht in seine Hände. Seine Vertrauten aus Paris, Jasdi, Banisadr und Ghotbsadeh, landeten dagegen binnen zwei Jahren im politischen Abseits.