Khomeinis kalkulierte Provokation

Als Ayatollah Khomeini am 14. Februar 1989 seine Fatwa zu Salman Rushdie veröffentlichte, löste dies eine weltweite Schockwelle aus, die 30 Jahre danach noch immer nicht ganz verebbt ist. In dem Rechtsgutachten rief der iranische Revolutionsführer alle Muslime zur Tötung des britisch-indischen Schriftstellers auf, weil er mit seinem Roman „Die Satanischen Verse“ den Islam, den Koran und den Propheten Mohammed beleidigt habe. Zugleich setzte der Iran ein Kopfgeld auf Rushdie aus.

In dem teilweise vom Leben Mohammeds inspirierten Roman hatte sich Rushdie auf eine islamische Überlieferung bezogen, wonach der Prophet in einem Moment nicht zwischen der Offenbarung Gottes und der Einflüsterung des Teufels unterscheiden konnte. Schon kurz nach der Veröffentlichung im September 1988 stieß das Buch bei Muslimen auf wütende Kritik, da mehrere Stellen als beleidigend für den Islam verstanden wurden.

Im Oktober 1988 wurde der Import des Buchs in Indien verboten, und in den folgenden Monaten zogen es auch zahlreiche weitere Staaten aus dem Verkauf. In Großbritannien und den USA gab es wütende Proteste und eine öffentliche Buchverbrennung. Auf zahlreiche Buchläden wurden Bomben- und Brandanschläge verübt, und am 12. Februar kam es in Pakistan zu gewaltsamen Massenproteste mit mehreren Toten.

Während das Buch andernorts längst Schlagzeilen machte, war es im Iran weiter erhältlich. Zwar erschienen schon kurz nach seiner Veröffentlichung kritische Rezensionen in der iranischen Presse, und ein Gelehrter schickte Khomeini eine ausführliche Kritik des Buchs, doch tat dieser sie mit den Worten ab, dass immer wieder Unsinn veröffentlicht werde. Umso überraschender kam daher seine Fatwa am 14. Februar.

Im Westen sorgte der Mordaufruf für einen Sturm der Empörung, und London brach kurz darauf seine Beziehungen mit Teheran ab. Wenige Tage nach der Fatwa entschuldigte sich Rushdie bei den Muslimen, doch wies Khomeini die Entschuldigung zurück. Der Schriftsteller musste unter Polizeischutz gestellt werden und war gezwungen, die folgenden Jahren im Verborgenen zu leben und ständig die Wohnung zu wechseln.

Im Westen wurde die Fatwa zumeist als Ausdruck des religiösen Fanatismus gewertet, doch aus Sicht vieler Historiker steckte dahinter politisches Kalkül. Nicht nur konnte Khomeini sich damit nach den Protesten in Pakistan als Anführer aller Muslime präsentieren, sondern durch die Krise mit dem Westen, die sein Mordaufruf erwartungsgemäß provozierte, konnte er auch von einer schweren internen Krise ablenken.

Im Juli 1988 hatte Khomeini nach acht blutigen Kriegsjahren einen Waffenstillstand mit dem Irak akzeptieren müssen, und viele Iraner hatten das Gefühl, dass all die Entbehrung umsonst gewesen war. In den Wochen vor der Fatwa war zudem Khomeinis Stellvertreter Ayatollah Hossein-Ali Montazeri, dessen Verhältnis zu Khomeini schon lange angespannt war, mit scharfer Kritik am politischen System an die Öffentlichkeit gegangen.

Im Schatten des Aufruhrs um die Fatwa setzte Khomeini Montazeri im März 1989 als seinen designierten Nachfolger ab. Als er wenige Wochen mit 86 Jahren starb, wurde der damalige Präsident Ali Chamenei sein Nachfolger, der den Iran bis heute führt. Obwohl traditionell ein Rechtsgutachten mit dem Tod seines Autors seine Geltung verliert, hielt die iranische Führung daran fest und bestätigte wiederholt seine Gültigkeit.

Außerhalb des Iran wurde die Fatwa von den muslimischen Staaten einhellig verurteilt, und viele Gelehrte wiesen Khomeinis Argumentation als unvereinbar mit der islamischen Rechtstradition zurück. Heute hat sich die Aufruhr gelegt, doch der Streit um die Mohammed-Karikaturen hat erneut gezeigt, wie heftig die Reaktionen auf alles ausfallen können, was als Kritik des Westens am Islam verstanden wird – und wie sehr das Thema zu politischen Zwecken missbraucht werden kann.