Lieber gerade kein Gastspiel in Istanbul

Istanbul – Kulturaustausch soll der Verständigung dienen – doch zwischen der Türkei und Deutschland stehen die Zeichen dafür derzeit nicht gut. Schon seit Monaten belasten die politischen Spannungen die kulturellen Beziehungen. Während von türkischer Seite Ablehnung und Misstrauen die Kooperation erschweren, gibt es wegen der repressiven Politik von Präsident Recep Tayyip Erdogan auf deutscher Seite zunehmend Vorbehalte, in die Türkei zu fahren. Doch ist Boykott die richtige Antwort?

In der deutschen Öffentlichkeit werde die Türkei auf die Politik Erdogans reduziert, anderes werde kaum noch wahrgenommen, bedauert der Leiter des Istanbuler Goethe-Instituts, Reimar Volker. „In Deutschland gibt es die Vorstellung, die Türkei boykottieren zu müssen, um die türkische Regierung nicht zu unterstützen. Wer als Künstler dennoch hierher fährt, steht nicht selten unter Druck, sich dafür zu rechtfertigen.“

Im November wollte die Berliner Schaubühne eigentlich auf dem Istanbuler Theaterfestival ihre Inszenierung von „Richard III.“ zeigen. Das Stück, das Aufstieg und Fall eines Gewaltherrschers zeigt, war das Highlight des Festivals, doch in letzter Minute sagte das Theater ab. Wegen der Verhaftung von Journalisten, Wissenschaftlern und Menschenrechtlern habe es Sorge um die Sicherheit gegeben, hieß es zur Begründung.

Volker hatte zusammen mit Vertretern des Auswärtigen Amts und des Theaterfestivals versucht, das Schaubühnen-Ensemble noch umzustimmen. Doch vergebens. Den Ausschlag für die Absage gab die Festnahme des bekannten Philanthropen Osman Kavala, der Mitte Oktober am Istanbuler Flughafen bei der Rückkehr von einer Projektbesprechung mit dem Goethe-Institut unter „Terrorverdacht“ verhaftet wurde.

Auch er sei über die Festnahme beunruhigt, sagt Volker. Doch allgemein gebe es weiter großes Interesse am Kulturaustausch, und die Behörden würden ihnen keine Steine in den Weg legen. Eher sei die Schwierigkeit, deutsche Künstler für Projekte in der Türkei zu gewinnen, sagt Volker. So hätten seit Jahresbeginn vier Stipendiaten der vom Goethe-Institut betreuten Kulturakademie Tarabya abgesagt.

„In Deutschland stellen sich viele Leute die Türkei heute als Mischung aus Nordkorea und dem Südsudan vor“, sagt Jochen Proehl, der in Istanbul als Ansprechpartner für Kunststipendiaten aus NRW dient. Sicherlich müssten Künstler in der Türkei heute vorsichtiger sein, was sie zeigen oder in der Öffentlichkeit sagen. Trotzdem sei es keineswegs so, dass es keine kritische Kunst mehr gebe, sagt Proehl.

Im April hat die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle ihr langjähriges Stipendienprogramm in Istanbul eingestellt. Frühere Stipendiaten versichern, sich dort nie unsicher gefühlt zu haben. Doch offenbar sei das Programm in der aktuellen Situation „nicht mehr opportun“ erschienen, sagt ein Ex-Stipendiat. Er sieht den Schritt als „falsches Signal“, schließlich sei gerade jetzt kultureller Austausch wichtig.

Die Professorin Nike Bätzner, die das Programm in Halle betreut, bedauert die Einstellung. Es habe aber das Gefühl gegeben, im aktuellen Kontext „nicht einfach so weitermachen“ zu können, auch habe es Sicherheitsbedenken gegeben. Zudem sei es zunehmend schwierig, die nötigen Drittmittel zu bekommen, sagt die Kunstprofessorin.

Im Sommer hat Bätzner die Sinopale in der Schwarzmeerstadt Sinop mitkuratiert. An der vierwöchigen Kunstbiennale hätten auch mehrere deutsche Künstler teilgenommen, sagt sie. Das sei schon ein „Politikum“ gewesen in Deutschland. Doch ob die Biennale in zwei Jahren erneut stattfinden könne, stehe in den Sternen.

Auch in Deutschland werden Kooperationen schwieriger. Bei einer Ausstellung von Kunst aus Anatolien im fränkischen Selb sprangen drei Museen kurzfristig ab, die die Schau ebenfalls zeigen wollten. Der Kurator Ingo Nitzsche würde sich da mehr Mut wünschen. Wer sein Museum „als Plattform für Auseinandersetzung“ verstehe, sollte gerade jetzt türkische Künstler zeigen, sagt Nitzsche.